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Zum Tod von Rodolfo Keller, erster Stadtpräsident der Stadt Illnau-Effretikon

11. Dezember 2025
Visionär und Pragmatiker - Alt-Stadtpräsident Ueli Müller blickt auf das Leben und Wirken von Keller zurück.

Am 31. Oktober 2025 hat sich in Wetzikon der Lebenskreis eines kreativen und weitsichtigen Politikers geschlossen. Rodolfo Keller war seiner Zeit in vielen Themen voraus, er hat Anstösse gegeben und Projekte umgesetzt, von denen die Bevölkerung der Stadt Illnau-Effretikon und des Südbündner Calancatals noch heute profitiert. Er war 38 Jahre Exekutivpolitiker mit einem ausgeprägten Sinn für das Machbare. Die Politik war sein Lebenselement, während Berufs- und Familienleben etwas hintanstehen mussten.

Rodolfo Keller wurde am 23. März 1940 in Bellinzona geboren. Er verlor schon als Einjähriger seinen Vater und lebte mit der Mutter in ärmlichen Verhältnissen. 1949 zogen die beiden nach Hemishofen (SH), zwei Jahre später nach Schaffhausen, wo Rodolfo eine Lehre als Elektromechaniker absolvieren durfte. Danach bildete er sich am Technikum Winterthur zum Elektroingenieur weiter und wurde Informatiker bei der IBM. Ab 1971 arbeitete er als selbstständiger Berater für verschiedene Industriefirmen. 1965 heiratete er; 1968 und 1972 kamen eine Tochter und ein Sohn zur Welt. Seit 1968 wohnte die Familie in Effretikon, wo die Lokalpolitik sein Interesse weckte, sodass er 1971 der dortigen SP-Sektion beitrat. 

Nach einem denkwürdigen Wahlkampf gegen zwei einheimische bürgerliche Politiker wurde der erst 34-jährige Neuzuzüger 1974 zum ersten Stadtpräsidenten von Illnau-Effretikon gewählt. Dieses Amt übte er während 24 Jahren bis 1998 aus. Von 1983 bis 1993 wirkte er zudem im Zürcher Kantonsrat. Nach seinem ersten Rücktritt aus der Politik setzte er sich als Geschäftsführer der Firma «Logis Suisse» für den gemeinnützigen Wohnungsbau ein. 2003 liess er sich pensionieren und zügelte in seine geliebte Wahlheimat, ins Calancatal. In Landarenca führte er während zehn Jahren die einzige Dorfwirtschaft und liess sich 2005 in den Gemeinderat von Arvigo wählen. Ab 2009 amtete er auch hier als Präsident, ab 2015 als Sindaco der neu gegründeten Gemeinde Calanca. Ende 2018, inzwischen 78-jährig und an Schilddrüsenkrebs erkrankt, zog er nach Wetzikon zu seiner zweiten Ehefrau, die er 2017 geheiratet hatte.

Rodolfo Keller trat 1974 das Stadtpräsidentenamt zu einem Zeitpunkt an, als Effretikon von einem aussergewöhnlich starken Wachstumsschub geprägt war. Er erkannte, dass die junge Stadt eine Verschnaufpause brauchte, um sich vom Bauboom zu erholen und für die Bevölkerung attraktiv zu werden. Unter seiner Leitung erfuhr die Ortsplanung eine neue Ausrichtung; die aus den 1960er-Jahren stammende Zielgrösse von 40'000 Einwohner/innen wurde halbiert. Die daraus resultierende Bauordnung hatte zur Folge, dass die Bevölkerungszahl während seiner Amtszeit konstant etwa 14’500 betrug. Diese Wachstumsbremse hatte Pioniercharakter und wurde in verschiedenen Medien zum Thema. Wichtig waren Rodolfo Keller die Entwicklung des Effretiker Zentrums und die Konzentrierung der öffentlichen Bauten wie Stadthaus und Alterszentrum an diesem Ort, die Ansiedlung von Arbeitsplätzen, die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus, die Einrichtung eines Ortsbusses, die Grünanlage bei der Moosburg, die Kulturförderung sowie die Saalbauten in Illnau und Effretikon – alles Massnahmen, die dem Schlafstadt-Image entgegenwirkten. Ganz in seinem Element war er auch im Gebiet der Energiefragen; so erhielt Illnau-Effretikon als eine der ersten Schweizer Gemeinden einen kommunalen Energieplan. Obwohl Rodolfo Keller seinem Naturell entsprechend ein typischer Exekutivpolitiker war, betätigte er sich auch im Kantonsparlament als aktives Mitglied. Er präsidierte die SP-Fraktion und wirkte in sieben Kommissionen als Präsident, wobei sein besonderes Interesse der Raumplanungskommission galt. Ausgelöst durch die Waldsterbedebatte setzte er sich für nachhaltige und energieeffiziente Konzepte ein. Auch in Arvigo-Landarenca, mit dem Illnau-Effretikon dank seiner Anregung partnerschaftlich verbunden ist, gelang es ihm, die Infrastruktur  ̶  Wasser, Abwasser, Energie, Feuerwehr, Alterswohnungen  ̶  auf Vordermann zu bringen und als Krönung vier Talgemeinden zur Gemeinde Calanca zu fusionieren.

Rodolfo Keller war ein Schnelldenker, der Althergebrachtes hinterfragte und neue, eigene Wege ging. Viele davon waren zielführend, auch wenn sein Vorgehen und sein Tempo nicht allen gleich geheuer waren. Oft überraschte er als Meister des Taktierens seine politischen Widerstreiter, denen er seine Absichten nicht immer offen kommunizierte. Wenn er deren Anträge mit der legendären Bemerkung «Ich habe ziemlich Mühe mit…» kommentierte, war ihnen seine klare Ablehnung gewiss.

Sein Wirken beruhte auf sozialdemokratischen Grundwerten, auf materieller Bescheidenheit und gesellschaftlicher Toleranz. Er engagierte sich für das Wohl der Bevölkerung und bemerkte einmal: «Ich möchte später vor meinen Enkeln stehen, ohne dass diese mich fragen müssen: Warum habt ihr damals nichts getan? Ich möchte ihnen sagen können: Wir haben gemacht, was wir konnten.» Auf jeden Fall hat er seinen Enkeln – und seinen Amtsnachfolgern  ̶   eine Stadt mit moderner öffentlicher Infrastruktur hinterlassen. Was er für Kanton, Stadt und Bergtal geleistet hat, verdient grosse Anerkennung.

Ueli Müller
Alt-Stadtpräsident Illnau-Effretikon


ZUM AUTOR
Ueli Müller war von 2011 bis 2022 Stadtpräsident der Stadt Illnau-Effretikon. Er war nach Martin Graf, Stadtpräsident von 1998 bis 2011, der dritte Träger, der dieses Amt seit 1974 inne hatte.