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Leitartikel Oktober 2025; Stadtrat Erik Schmausser

21. Oktober 2025

GESCHICHTEN, DIE DAS LEBEN SCHRIEB

Wir haben bei uns in Illnau-Effretikon die schöne Tra­dition, dass Mitglieder des Stadtrates die 80-jähri­gen und älteren Jubilarinnen und Jubilare be­suchen, sofern sie dies wünschen. Ich schätze diese Besuche sehr, denn diese Generation hat sehr viel erlebt und weiss viel zu berichten. Ihre Le­bens­läufe widerspiegeln die Geschichte der letzten acht Jahrzehnte. Es lohnt sich, zuzuhören und mehr über die Vielfalt des Lebens zu erfahren.

Denn vielfältig sind sie, die Lebensgeschichten un­serer Menschen hier in Illnau-Effretikon. Da sind alt­eingesessene Familien, die in Jahrhunderte alten Bauernhäusern wohnen und von vergangenen ge­sellschaftlichen Festen und Traditionen berichten, die leider verloren gegangen sind oder sich verän­dert haben. Unter den Jubilarinnen und Jubilaren be­finden sich Auswanderer, die wieder zurückgekehrt sind und doch hier ihr Glück gefunden haben. So bei­spielsweise ein Senior, der als junger Mann in den 1950er-Jahren in die USA ausgewandert war und anfangs der 1960er-Jahre zurückkehrte, um dem drohenden zweijähri­gen Dienst in der amerikani­schen Armee zu entge­hen. Interessant ist es auch zu erfahren, wo in den 1940er-Jahren die Primar- oder Sekundarschule besucht, wie unterrichtet wurde oder wie lange die Schulwege zu Fuss oder mit dem Velo waren.

Und ich treffe immer wieder auf Einwandererinnen und Einwanderer. Sei es eine lebensfrohe Italiene­rin, mit deren Tochter – wie sich herausstellt – ich schon zu Tango Argentino tanzen durfte. Oder Per­sonen aus Osteuropa, die aus den damaligen kom­munistischen Überwa­chungsstaaten die Flucht ge­lang. Sie kamen mit buchstäblich nichts ausser einer kleinen Tasche hier an und bauten sich trotz grossen Herausforderun­gen in der Schweiz erfolgreich eine Existenz auf. Ihre Kinder und Enkelkinder sind heute in angesehe­nen Berufen und gesellschaftlichen Stellungen tätig. Beeindruckt bin ich zudem sehr von den Frauen, die ihre Lebensfreude trotz schwe­ren Schicksalsschlä­gen nicht verloren haben, mich mit grosser Herzlich­keit empfangen und mit denen das Gespräch, trotz schwieriger Themen, immer wieder eine fröhliche Wendung nimmt.

Berührend sind die Liebesgeschichten, welche so manche Frau oder Mann hierhergeführt hat. Bei­spielsweise die immer noch sportliche Deutsche, die als Au-Pair-Mädchen nach Zürich kam und sich dort in einen Franzosen verliebte. Die beiden bauten sich in unserer Stadt ein Zuhause. Oder der Schwei­zer, der sich mit 16 Jahren in einem Pfadi-Lager in den Niederlanden in eine Holländerin verliebte. Die beiden waren im Lager nur drei Tage zusammen, schrieben sich danach über Jahre, bis sie endlich zu ihm in die Schweiz kam, um zu heiraten.

Ich wünschte, die Seniorinnen und Senioren könn­ten unsere Schulen besuchen und dort aus ihrem Leben erzählen. Vor allem Seniorinnen sind bereits eh­renamtlich im Schulunterricht unterstützend tätig, um auf einzelne Kinder gezielter eingehen zu kön­nen oder beim Handarbeits- oder Werkunterricht tat­kräftig zu helfen. Eine Win-Win-Situation, wie mir eine Schulleiterin versicherte. Aber ein Austausch über das Leben und seine Wendungen zwischen den Generationen wäre wohl gegenseitig sehr be­reichernd. Vielleicht liest eine Lehrperson diesen Leitartikel und nimmt die Idee auf?

Meine für mich spannenden Jubilaren-Besuche zei­gen mir, wie vielfältig an Personen und reich an Le­bensgeschichten unsere Bevölkerung ist und wie Weltgeschichte und Migration auch unser Illnau-Effretikon prägten und prägen werden. Ich danke al­len von Herzen, die mir ihre persönliche Geschichte er­zählt haben und wünsche mir, dass die junge Ge­ne­ration Gelegenheit erhält, diese Geschichten, die das Leben schrieb, zu hören. Sei es von ihren Gros­seltern in den Familien, oder vielleicht auch in der Schule.

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