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Leitartikel Mai 2025; Stadtrat Michael Käppeli

19. Mai 2025

LEBENSWEISHEITEN - EIN KOMPASS FÜR DEN ALLTAG

«Jeder Mensch ist seines Glückes Schmied.» Die­ser Lebensweisheit habe ich mich 2023 in meinem ersten Leitartikel als Stadtrat gewidmet. Aufbauend auf philosophischen Ansätzen und bezugnehmend auf Erkenntnisse der Glücksforschung habe ich ver­sucht zu beleuchten, dass es in unserer fortgeschrit­tenen Gesellschaft eine starke Verbindung zwi­schen Freiheit und Selbstverantwortung sowie dem Streben nach bzw. dem Erreichen von Glück gibt. Menschen mit einem hohen Grad an Selbstverant­wortung verspüren in der Regel ein grösseres Mass an Lebenszufriedenheit.

In meinem letztjährigen, zweiten Leitartikel setzte ich mich sodann mit dem Thema Offenheit und To­leranz als zentrale Basis fürs gute Zusammenleben und einen erfolgreichen Umgang mit Konfliktsituati­onen auseinander. Mithilfe einiger Leitfragen habe ich ein paar Gedanken mit Ihnen geteilt, wie wir darüber reflektieren können, wie ausgeprägt in un­serem eigenen Leben die Werte Offenheit und To­leranz verankert sind. In eine Lebensweisheit ge­gossen liesse sich als Fazit dieses Leitartikels viel­leicht folgende Grundhaltung mitnehmen: «Neh­men Sie die Menschen, wie sie sind, andere gibt’s nicht.»

Lebensweisheiten wie «Jeder Mensch ist seines Glückes Schmied.» oder «Nehmen Sie die Men­schen, wie sie sind, andere gibt’s nicht.» finde ich als Kompass für den Alltag sehr hilfreich. Solche Le­bensweisheiten, die typischerweise in Form von Sprichwörtern, Zitaten oder Redewendungen auf­treten, sind wie kleine Wegweiser oder goldene Re­geln, die uns auf kurze und prägnante Art und Weise Orientierung bieten können.

Heute möchte ich mich einer weiteren Lebensweis­heit widmen, die mir bereits in vielen Situationen so­wohl privat, beruflich als auch politisch immer wie­der ganz besonders wertvolle Dienste geleistet hat. Sie lautet:

«Herr, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzuneh­men, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.»

Diese Lebensweisheit, einigen unter Ihnen bekannt als das «Gelassenheitsgebet» des US-amerikani­schen Theologen Reinhold Niebuhr, ist weit mehr als ein spirituelles Bekenntnis. Die Kraft dieser Le­bensweisheit liegt in ihrer Einfachheit und zugleich in ihrer tiefgründigen psychologischen und prakti­schen Wahrheit. Lassen Sie mich dies etwas aus­führen und dabei auf die einzelnen Teilsätze vertief­ter eingehen.

Der erste Teil dieser Lebensweisheit weist uns da­rauf hin, dass sich manche Dinge unserem direkten Einfluss entziehen wie der Wind den Händen. Oder etwas weniger poetisch ausgedrückt: Nicht alles im Leben haben wir im Griff und lässt sich steuern. Sol­chen Dingen sollten wir mit Gelassenheit begegnen, wobei mit Gelassenheit nicht Gleichgültigkeit ge­meint ist. Vielmehr ist es eine Einladung, anzuerken­nen, dass nicht alles im eigenen Einflussbereich liegt – sei es das Verhalten anderer, übergeordnete Rahmenbedingungen, (Ziel- oder Leistungs-)Vorga­ben oder auch bestimmte Lebensumstände. Wer Gelassenheit mit äusseren Umständen pflegt, spart emotionale Energie. Statt sich über das Wetter, das Verhalten anderer oder schwierige Rahmenbedin­gungen aufzureiben, die man nicht beeinflussen kann, richtet man die Aufmerksamkeit besser auf das, was man selbst in der Hand hat. Gelassenheit bedeutet dabei nicht Resignation, sondern vielmehr einen positiven Umgang mit denjenigen Dingen zu pflegen, die ausserhalb unserer Kontrolle liegen – notabene wohl eine der schwersten, aber heilsams­ten Lektionen in unserem Leben. Dazu gehört auch Menschen so zu nehmen, wie sie sind – womit wir zurück bei meinem letzten Leitartikel sind.

Selbstverständlich verlangt das Leben mehr als Ge­lassenheit und stilles Erdulden. Der mittlere Teil der Lebensweisheit ist deshalb der ebenso wichtige Aufruf zu selbstverantwortlichem Handeln überall da, wo Gestaltungsspielraum besteht. Überlegen wir uns in jeder Situation, was (vor-)gegeben ist und was ich selbst innerhalb des gesetzten Rahmens unmittelbar beeinflussen kann. Oder in einer Frage ausgedrückt: Wo liegen meine Hebel, um etwas zu bewirken? Auch wenn wir uns manchmal wie ein kleines Boot auf hoher See fühlen, das den Wellen und Strömungen ausgeliefert scheint – oft halten wir das Steuer in der Hand, ohne es sogleich zu be­merken. Wir können zwar nicht den Wind bestim­men, aber wir können die Segel setzen sowie be­wusst und entschlossen das Ruder übernehmen. Dabei können uns oft bereits kleine Kurskorrekturen wie ein offenes Gespräch, ein beherzter Anfang, ein mutiger Schritt nach vorne auf einen neuen, besse­ren Weg führen. In unserem eigenen Einflussbe­reich besitzen wir die Fähigkeit, Dinge zum Besse­ren zu wenden: Durch aktive Handlung und Mut. Und manchmal bedeutet Mut auch, den Anker zu lichten, sich gänzlich von festgefahrenen Mustern oder der Komfortzone zu lösen und offen in unbe­kannte Gewässer aufzubrechen. Kurzum: Wir alle sind unseres eigenen Glückes Schmied.

Doch Gelassenheit auf der einen und Mut auf der anderen Seite wären wirkungslos ohne den zentra­len Schlussteil von Niebuhrs Gelassenheitsgebet: «die Weisheit, das eine vom anderen zu unterschei­den.» Diese Unterscheidung ist oft nicht leicht. Weisheit ist die Kunst der Navigation und unter­scheidet zwischen den Wellen, die wir reiten kön­nen, und jenen, die wir hinnehmen oder denen wir fallweise sogar ausweichen müssen.

Dies verlangt Selbstreflexion, Klarheit, Aufmerk­samkeit und manchmal auch Rat von Dritten. Was zunächst wie ein unveränderliches Schicksal bzw. als gegeben er­scheint, kann bei genauerem Hinse­hen zumindest teilweise beeinflussbar sein. Umge­kehrt kämpfen wir oft gegen Windmühlen und ver­schwenden un­nötige Energien ins Erzwingen von Dingen, die nicht veränderbar sind.

Versuchen wir deshalb immer wieder, Gelassenheit, Mut und Weisheit geschickt miteinander zu verbin­den. Lernen wir, Unveränderliches anzunehmen und gehen wir dafür das Veränderliche umso entschlos­sener an. Und eben: Unterscheiden wir in allen Le­bensbereichen sorgfältig das eine vom anderen. Es lohnt sich.

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