Leitartikel Mai 2025; Stadtrat Michael Käppeli
LEBENSWEISHEITEN - EIN KOMPASS FÜR DEN ALLTAG
«Jeder Mensch ist seines Glückes Schmied.» Dieser Lebensweisheit habe ich mich 2023 in meinem ersten Leitartikel als Stadtrat gewidmet. Aufbauend auf philosophischen Ansätzen und bezugnehmend auf Erkenntnisse der Glücksforschung habe ich versucht zu beleuchten, dass es in unserer fortgeschrittenen Gesellschaft eine starke Verbindung zwischen Freiheit und Selbstverantwortung sowie dem Streben nach bzw. dem Erreichen von Glück gibt. Menschen mit einem hohen Grad an Selbstverantwortung verspüren in der Regel ein grösseres Mass an Lebenszufriedenheit.
In meinem letztjährigen, zweiten Leitartikel setzte ich mich sodann mit dem Thema Offenheit und Toleranz als zentrale Basis fürs gute Zusammenleben und einen erfolgreichen Umgang mit Konfliktsituationen auseinander. Mithilfe einiger Leitfragen habe ich ein paar Gedanken mit Ihnen geteilt, wie wir darüber reflektieren können, wie ausgeprägt in unserem eigenen Leben die Werte Offenheit und Toleranz verankert sind. In eine Lebensweisheit gegossen liesse sich als Fazit dieses Leitartikels vielleicht folgende Grundhaltung mitnehmen: «Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, andere gibt’s nicht.»
Lebensweisheiten wie «Jeder Mensch ist seines Glückes Schmied.» oder «Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, andere gibt’s nicht.» finde ich als Kompass für den Alltag sehr hilfreich. Solche Lebensweisheiten, die typischerweise in Form von Sprichwörtern, Zitaten oder Redewendungen auftreten, sind wie kleine Wegweiser oder goldene Regeln, die uns auf kurze und prägnante Art und Weise Orientierung bieten können.
Heute möchte ich mich einer weiteren Lebensweisheit widmen, die mir bereits in vielen Situationen sowohl privat, beruflich als auch politisch immer wieder ganz besonders wertvolle Dienste geleistet hat. Sie lautet:
«Herr, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.»
Diese Lebensweisheit, einigen unter Ihnen bekannt als das «Gelassenheitsgebet» des US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr, ist weit mehr als ein spirituelles Bekenntnis. Die Kraft dieser Lebensweisheit liegt in ihrer Einfachheit und zugleich in ihrer tiefgründigen psychologischen und praktischen Wahrheit. Lassen Sie mich dies etwas ausführen und dabei auf die einzelnen Teilsätze vertiefter eingehen.
Der erste Teil dieser Lebensweisheit weist uns darauf hin, dass sich manche Dinge unserem direkten Einfluss entziehen wie der Wind den Händen. Oder etwas weniger poetisch ausgedrückt: Nicht alles im Leben haben wir im Griff und lässt sich steuern. Solchen Dingen sollten wir mit Gelassenheit begegnen, wobei mit Gelassenheit nicht Gleichgültigkeit gemeint ist. Vielmehr ist es eine Einladung, anzuerkennen, dass nicht alles im eigenen Einflussbereich liegt – sei es das Verhalten anderer, übergeordnete Rahmenbedingungen, (Ziel- oder Leistungs-)Vorgaben oder auch bestimmte Lebensumstände. Wer Gelassenheit mit äusseren Umständen pflegt, spart emotionale Energie. Statt sich über das Wetter, das Verhalten anderer oder schwierige Rahmenbedingungen aufzureiben, die man nicht beeinflussen kann, richtet man die Aufmerksamkeit besser auf das, was man selbst in der Hand hat. Gelassenheit bedeutet dabei nicht Resignation, sondern vielmehr einen positiven Umgang mit denjenigen Dingen zu pflegen, die ausserhalb unserer Kontrolle liegen – notabene wohl eine der schwersten, aber heilsamsten Lektionen in unserem Leben. Dazu gehört auch Menschen so zu nehmen, wie sie sind – womit wir zurück bei meinem letzten Leitartikel sind.
Selbstverständlich verlangt das Leben mehr als Gelassenheit und stilles Erdulden. Der mittlere Teil der Lebensweisheit ist deshalb der ebenso wichtige Aufruf zu selbstverantwortlichem Handeln überall da, wo Gestaltungsspielraum besteht. Überlegen wir uns in jeder Situation, was (vor-)gegeben ist und was ich selbst innerhalb des gesetzten Rahmens unmittelbar beeinflussen kann. Oder in einer Frage ausgedrückt: Wo liegen meine Hebel, um etwas zu bewirken? Auch wenn wir uns manchmal wie ein kleines Boot auf hoher See fühlen, das den Wellen und Strömungen ausgeliefert scheint – oft halten wir das Steuer in der Hand, ohne es sogleich zu bemerken. Wir können zwar nicht den Wind bestimmen, aber wir können die Segel setzen sowie bewusst und entschlossen das Ruder übernehmen. Dabei können uns oft bereits kleine Kurskorrekturen wie ein offenes Gespräch, ein beherzter Anfang, ein mutiger Schritt nach vorne auf einen neuen, besseren Weg führen. In unserem eigenen Einflussbereich besitzen wir die Fähigkeit, Dinge zum Besseren zu wenden: Durch aktive Handlung und Mut. Und manchmal bedeutet Mut auch, den Anker zu lichten, sich gänzlich von festgefahrenen Mustern oder der Komfortzone zu lösen und offen in unbekannte Gewässer aufzubrechen. Kurzum: Wir alle sind unseres eigenen Glückes Schmied.
Doch Gelassenheit auf der einen und Mut auf der anderen Seite wären wirkungslos ohne den zentralen Schlussteil von Niebuhrs Gelassenheitsgebet: «die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.» Diese Unterscheidung ist oft nicht leicht. Weisheit ist die Kunst der Navigation und unterscheidet zwischen den Wellen, die wir reiten können, und jenen, die wir hinnehmen oder denen wir fallweise sogar ausweichen müssen.
Dies verlangt Selbstreflexion, Klarheit, Aufmerksamkeit und manchmal auch Rat von Dritten. Was zunächst wie ein unveränderliches Schicksal bzw. als gegeben erscheint, kann bei genauerem Hinsehen zumindest teilweise beeinflussbar sein. Umgekehrt kämpfen wir oft gegen Windmühlen und verschwenden unnötige Energien ins Erzwingen von Dingen, die nicht veränderbar sind.
Versuchen wir deshalb immer wieder, Gelassenheit, Mut und Weisheit geschickt miteinander zu verbinden. Lernen wir, Unveränderliches anzunehmen und gehen wir dafür das Veränderliche umso entschlossener an. Und eben: Unterscheiden wir in allen Lebensbereichen sorgfältig das eine vom anderen. Es lohnt sich.
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20250516_PUBL_Leitartikel Michael Käppeli (PDF, 158.84 kB) | Download | 0 | 20250516_PUBL_Leitartikel Michael Käppeli |